Der TIME-LAG ist einer der am meisten unterschätzten Faktoren im Immobilienmarkt. Was meine ich damit? Entwicklungen auf dem Immobilienmarkt folgen langsamen laufenden Zyklen. Praktisch in keinem anderen Marktsegment tritt das Prinzip von Ursache - Wirkung mit einem derart enormen zeitlichen Abstand ein.
Ein Vergleich: Reaktionen in anderen Märkten
In schnell reagierenden Märkten wie dem Devisenhandel zeigt sich das Gegenteil. Nehmen wir beispielsweise eine Meldung zur Inflation oder zu Zinserhöhungen der Notenbanken: Innerhalb von Sekunden reagieren die Märkte, und die Auswirkungen lassen sich direkt im Euro-Dollar-Kurs ablesen, der entweder steigt oder fällt. Diese Schnelligkeit gibt Investoren die Möglichkeit, Informationen unmittelbar in ihre Entscheidungen einfließen zu lassen. Selbst wenn Übertreibungen möglich sind, bietet die Reaktion Investoren dennoch eine kurzfristige Entscheidungsgrundlage.
Der Immobilienmarkt: Träge Reaktionen auf Änderungen
Ein ganz anderes Bild ergibt sich, wenn Sie die Transmission von Nachrichten und Veränderungen auf den Immobilienmarkt betrachten. Es dauert Monate, oft sogar Jahre, bis sich Änderungen der Rahmenbedingungen – wie Zinsanpassungen oder politische Entscheidungen – auf Angebot, Nachfrage oder Preise auswirken.
Projektentwicklungen: Zwischen dem Erwerb eines Grundstücks, dem Verkauf der ersten Einheiten und der Fertigstellung eines Bauprojekts können Jahre, manchmal Jahrzehnte, vergehen. Marktbedingungen, die bei der Planung gelten, können bei der Fertigstellung längst überholt sein. Im Jahrzehnt des Immobilien-Booms machte die Fehlinterpretation dieses enormen Risikos Projektentwickler übrigens "aus Versehen" reich, denn der Trend lief in die richtige Richtung; sodass auch teilweise eklatante Unzulänglichkeiten bei der Planung der Objekte nicht mehr ins Gewicht fielen.
Private Verkäufer: Auch bei Haushalten in finanziellen Schwierigkeiten dauert es oft Jahre, bis eine Immobilie tatsächlich auf den Markt kommt. Eigentümer versuchen häufig zunächst, die Situation mit anderen Mitteln zu retten – sei es durch Unterstützung von Familie und Freunden oder durch alternative Finanzierungsmodelle. Das Eigenheim ist nicht nur ein Vermögenswert, sondern ein stark emotional geprägtes Gut, dessen Notverkauf oft als gesellschaftlicher Abstieg empfunden wird.
private Käufer reagieren ohnehin langsam, weil sie Datenmaterial nicht direkt interpretieren können, sondern nach dem Ursache-Wirkungsprinzip Erfahrungen sammeln: Steigen beispielsweise die Baupreise verteuert sich der Hausbau, nachdem die Hausplanung einen teureren Preis indiziert, passt der Käufer sein Gebot fürs Grundstück notgedrungen nach unten an. Es vergehen Monate der Verhandlung zwischen Privatkäufer und Privatverkäufer.
Herausforderungen durch den Time-Lag
Der time-lag macht die Interpretation von Marktdaten besonders schwierig. Veränderungen wie steigende Zinsen zeigen sich nicht unmittelbar in fallenden Transaktionszahlen oder Preisen. Hinzu kommt, dass die zugrunde liegenden Daten oft nur verzögert veröffentlicht werden – Transaktionszahlen quartalsweise, Bodenrichtwerte sogar nur jährlich.
Zudem ist der Immobilienmarkt durch die Einzigartigkeit jedes Objekts geprägt. Anders als bei Aktien oder Anleihen gibt es keine standardisierten Vermögenswerte, was eine objektive Bewertung erschwert. Dies gilt insbesondere für selbstgenutzte Immobilien, bei denen subjektive Faktoren den wahrgenommenen Wert stark beeinflussen.
Chancen und Risiken für Marktteilnehmer
Der time-lag birgt Risiken, die sich jedoch auch als Chancen nutzen lassen.
Steigende Märkte: In einem positiven Marktumfeld wirkte diese Zeitverzögerung - wie angesprochen - zugunsten der Anbieter. Wer beispielsweise 2018 eine Immobilie erwarb und mit einem Verkaufspreis von 100 % kalkulierte, konnte diese 2020 oder 2021 möglicherweise zu 140 % des ursprünglichen Wertes veräußern. Der Marktanstieg in der Zwischenzeit arbeitete für den Eigentümer.
Fallende Märkte: Umgekehrt gerät der Projektentwickler, der sich im überhitzten Markt mit Grundstücken eingedeckt hat, bei einer Marktberuhigung unter Druck. Das Risiko von Fehlinvestitionen, das im Jahrzehnt des Immobilienbooms in den Hintergrund trat, rückt wieder in den Vordergrund.
Aber Hoffnung des schiefl-iegenden Projektentwicklers stirbt zuletzt - genau wie die des wirtschaftliche Notlage geratenen Eigentümers. Früher der beste Freund wird der time-lag heute zum Gegner dieser Hoffnungen . Die Bundesbank warnt vor steigenden Kreditrisiken, "vor dem Hintergrund konjunktureller und geopolitischer Unsicherheiten". Der aufmerksame Beobachter, der kluge Investor, nimmt solche Informationen zur Kenntnis, zieht seine Schlüsse daraus und verringert seine Angebotspreise um eine höhere Risikomarge. Der Gewinn liegt im Einkauf.
Der Narr kauft sich das Risiko zum teuren Preis und hofft auf große Gewinne in einigen Jahren.
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